Perspektiven der WerteUnion

Haben die Konservativen in der CDU eine Chance?

Kürzlich las ich einen Artikel eines AfD-nahen Bloggers, indem dieser sich vehement gegen die Aufnahme ehemaliger Mitglieder der WerteUnion in die AfD aussprach. Ich musste zunächst etwas schmunzeln, denn offensichtlich ging der Autor ernsthaft davon aus, dass in absehbarer Zeit eine große Zahl von WerteUnion-Mitgliedern die Partei wechseln wollten. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich bereits an der Existenz der WerteUnion erkennen: Wäre die AfD für moderate Konservative attraktiv, wäre es wohl nie zur Gründung der WerteUnion gekommen. Dass sie sich ausgerechnet in der Aufschwungphase der AfD konstituieren konnte, zeigt, dass es Gauland, Meuten und co. nicht gelungen ist, das konservative Spektrum hinter sich zu vereinen.

Dennoch erhielt die Forderung für das Aufnahme-Verbot viel Zuspruch. Wer jetzt noch CDU-Mitglied sei, mache sich schuldig; Die WerteUnion habe keinen Einfluss und gaukele dem geneigten Wähler vor, dass die Union doch noch wählbar sei. Letztlich befürchteten einige Kommentatoren Stimmverluste für die AfD.

Die aufgeführten Kritikpunkte sind nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Einem Werte-Konservativen sollte es schwerfallen, eine Partei zu unterstützen, die mit den Grünen koaliert, deren Kanzlerin für ungesteuerte Zuwanderung steht, die nationale Kompetenzen an die EU überträgt und lange Zeit die Aufnahme der Türkei in die EU gefordert hat. Selbst mit einem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz wäre keine konservative Wende zu erwarten. Die CDU ist nun mal eine breite Volkspartei, und ein Kandidat hat nur eine Chance, wenn er sich als Vermittler aller Parteiflügel präsentieren kann. Was sollte die WerteUnion also anderes tun, als sich bei der Wahl zwischen zwei Kandidaten der Mitte (AKK und Merz) für den etwas konservativeren zu entscheiden?

Dass die WerteUnion mittel- oder langfristig Mehrheiten in CDU und CSU generieren könnte, ist nicht wahrscheinlich. Zwar ist es beeindruckend, dass die Organisation innerhalb kürzester Zeit 4.000 Mitglieder gewonnen hat. Allerdings sollte dabei nicht übersehen werden, dass die Mutterparteien CDU und CDU zusammen immer noch 550.000 Mitglieder verzeichnen, die WerteUnion also zahlenmäßig zu vernachlässigen ist, sofern sie ihre Mitgliederzahl nicht in absehbarer Zeit verzehnfacht. Dass sie über kurz oder lang gleichberechtigt mit Frauen-Union, Mittelstandsvereinigung und JU als offizielle Parteigliederung Anerkennung findet, ist mindestens genauso unrealistisch. Insbesondere in strukturkonservativen Regionen wie in der niedersächsischen Fläche wird sie es schwer haben, von der eigenen Partei akzeptiert und nicht als Quertreiber eingestuft zu werden. Als etwa zu Beginn dieses Jahres im Landkreis Rotenburg (Wümme) ein tapferer CDU-Lokalpolitiker die Gründung eines WerteUnion-Bezirksverbandes ankündigte, zog er damit nicht nur den Zorn der Lokalpresse, sondern auch den seiner Parteikollegen auf sich – und ruderte kurze Zeit später kleinlaut zurück. Die Gründung fiel aus. Wer öffentlich als Mitglied der WerteUnion auftritt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass er zumindest in manchen Gegenden der Republik damit seine innerparteilichen Karriereaussichten schwächt. Andererseits erhöht das aktive Mitglied der WerteUnion damit auch seinen Bekanntheitsgrad – und in der Politik kommt es nunmal nicht auf fachliche Kompetenz an: Fest steht: Anders als bei der AfD wird sich ein Engagement nicht zeitnah in einem lukrativem Amt auszahlen; anders als bei der AfD wird ein Engagement bei der WerteUnion aber auch nicht zu völliger gesellschaftlicher Isolation führen.

Der potentielle Einfluss der WerteUnion beruht nicht auf Mitgliederzahlen. Sie erreicht aufgrund ihrer politischen Ausrichtung eine enorme Medienöffentlichkeit, weil sie allein durch ihre Existenz für den linken Mainstream eine Provokation darstellt. Sie kann den Diskursraum erweitern, indem sie Themen aufgreift, die von den Mutterparteien stiefmütterlich behandelt werden und Begriffe diskutieren, die als politisch unkorrekt angesehen werden. Die WerteUnion kann konservative Netzwerke schaffen und dafür auf die Infrastruktur der Union zurückgreifen. Allein durch ihre Existenz könnte sie die Mitgliederstruktur von CDU und CSU verändern. Das selbstbewusste Auftreten eines konservativen Flügels könnte dazu führen, dass sich linksorientiere CDU-Mitglieder von der Partei abwenden oder gar nicht erst Mitglied werden. Und auf diese Weise hätte die WerteUnion schließlich doch Einfluss auf materielle und personelle Entscheidungen in der Union.

Um dies realisieren zu können, müsste sich die WerteUnion allerdings an einige Regeln halten. Insbesondere sollte sie eine ausreichende Distanz zur AfD wahren, um sich dahingehenden Vorwürfen gar nicht erst auszusetzen. Daher wäre es ratsam, aus den bisher völlig offenen Facebook-Foren der WerteUnion diejenigen auszuschließen, die dort offen Werbung für die AfD verbreiten oder sich in irgendeiner Form unseriös und/oder antidemokratisch äußern. Vorsicht gilt auch bei der Aufnahme ehemaliger AfD-Mitglieder. Denn nicht jeder, der mit der AfD bricht, ist damit automatisch als konservativ im Sinne der WerteUnion anzusehen.

Die Zeiten zur Gründung einer realpolitisch ausgerichteten konservativen Gruppierung sind günstig wie nie: Die Gefahr einer Radikalisierung der Mitgliedschaft ist gering, da Nationalisten und Verschwörungstheoretiker zuvörderst die Nähe der AfD suchen werden. Allerdings sollte die WerteUnion aus der Entwicklung der AfD ihre Lehren ziehen. Es gibt keine Sicherheit. Eine konservativ-ausgerichtete Organisation weckt auch stets das Interesse rechtsradikaler Kreise. Insbesondere im Fall einer Verfassungsschutzbeobachtung der AfD dürfte sich dieses Interesse noch massiv erhöhen. Und ich würde ein Monatsgehalt darauf verwetten, dass bereits jetzt linksgerichtete Politaktivisten damit beschäftigt sind, Mitgliederlisten der WerteUnion nach Menschen zu durchsuchen, bei denen man eine Nähe zur „extremen Rechten“ konstruieren kann. Um sich aber auch gegen einen realen Zustrom aus radikalen Kreisen zu wappnen, sollten frühzeitig Schutzmaßnahmen getroffen werden wie persönliche Aufnahmegespräche und die umfassende Prüfung von Vormitgliedschaften. Keinesfalls sollte das Kriterium aufgehoben werden, dass ein Mitglied der WerteUnion auch Mitglied von CDU/CSU oder der Jungen Union sein soll (dies würde ohnehin den Stellenwert der WU erheblich schwächen). Aber auch eine Mitgliedschaft in CDU, CSU und JU ist noch lange kein Beleg für die Unbedenklichkeit eines Antragstellers. Denn diese Organisationen haben bei der Aufnahme von Mitgliedern in der Regel kaum Schutzmechanismen. Und wer sich die heutigen Auseinandersetzungen in der AfD ansieht, wird feststellen, dass die Flügel-Anhänger oftmals ehemalige Unions-Mitglieder sind (z.B. Björn Höcke, Andreas Kalbitz, Stephan Brandner,  u.v.m).

Was die strategische (nicht: inhaltliche) Ausrichtung angeht, kann sich die WerteUnion einiges bei den Höcke-Anhängern abschauen. Der AfD-Flügel gewinnt aufgrund der Beharrlichkeit seiner Anhänger immer mehr an Einfluss – und dafür müssen die Flügel-Anhänger nur gelegentlich offen ihre (provokante) Meinung äußern und nicht aus der Partei austreten. Sie setzen durch politische Positionierungen Akzente und provozieren dadurch kritische Reaktionen aus der eigenen Partei. Mit dem Hinweis auf die „Einheit der Partei“ und das „breite Meinungsspektrum“ sind sie jedoch als Minderheitsgruppe in der Lage, sich als Wahrer der Partei darzustellen, während die innerparteilichen Kritiker zwangsläufig in die Rolle der ungeliebten Unruhestifter geraten.

Als durchaus erfolgreich erweist sich zudem das hohe Maß an gegenseitiger Solidarität in der AfD. Ihre Mitglieder überlassen die Deutungshoheit über richtig und falsch nicht externen Kritikern – und Anhänger wie Wähler honorieren dies. „Die Hunde bellen – die Karawane zieht weiter“ lautet ein häufig von Helmut Kohl verwendetes Sprichwort. Freilich handelt es sich dabei um eine Gratwanderung, denn eine WerteUnion kann eben nicht jede Äußerung tolerieren, sondern müsste sich bei tatsächlichen Grenzüberschreitungen auch von Mitgliedern trennen.

Für die konservative Bewegung in Deutschland wäre eine erfolgreiche WerteUnion ein Gewinn. Sie könnte gesellschaftliche Akzeptanz für einen modernen Konservatismus schaffen. Selbst für die AfD hätte eine erfolgreiche WerteUnion nicht nur Nachteile. Zwar könnte die WerteUnion das Wählerspektrum von CDU und CSU wieder nach rechts erweitern und somit der AfD Stimmen kosten. Aber von der Erweiterung des Diskursraumes und der Institutionalisierung würden letztlich alle Konservativen profitieren. Ob die AfD nun ehemalige WerteUnion Mitglieder aufnehmen möchte oder nicht, soll ihr überlassen bleiben. Der Andrang dürfte ohnehin sehr gering sein.

Über KD Hoffmann

Dr. Karsten D. Hoffmann: Politikwissenschaftler, Autor, Hamburg-Bremen, konservativ und Spaß dabei
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