Christkindl, Wutbürger und Tradition

Gastbeitrag von Sarah Händel

Das Nürnberger Christkindl – das (deutsche) Symbol zur Eröffnung der Weihnachtsmarktsaison – ist weltberühmt, aber kennen Sie die Namen der Mädchen, die in den letzten Jahren das „Christkindl“ spielten? Nein? Dann geht es Ihnen wie mir. Ich betrachte das Spektakel gerne in der Live-Übetragung, stellte mir jedoch noch nie die Frage, wer sich eigentlich unter der goldgelockten Perücke befindet, welche am Ende majestätisch die goldenen Engelsflügel erhebt.

Die Auswahlkriterien könnten schon fast mit der ein oder anderen Castingsshow mithalten. Ein Mädchen soll es sein, mindestens 1,60 Meter groß, schon „länger“ in Nürnberg wohnend, oder besser noch in Nürnberg geboren sein. Spätestens bei „wetterbelastbar und schwindelfrei“ wäre ich schon ausgeschieden, aber es kommen auch noch die sogenannten Softskills hinzu: herzlich, offen und belastbar. [1]. Nun ja, diese Entscheidung würde ich lieber denen überlassen, die mich kennen, jedoch befürchte ich auch deren Wahl wäre trotz aller Sympathien leider berechtigt gegen mich.

Aber ignorieren wir einmal zumindest die offene „Geschlechter- und Regional-“ sowie indirekte „Altersdiskriminierung“ (zwinker), so bleibt am Ende die Suche nach einem Mädchen, das einfach sympathisch ist. Schaue ich mir Fotos von Benigna Munsi, dem aktuell frisch gewähltem Christkindl an, so trifft genau das auf sie zu. Die Bilder von ihr strahlen die pure Lebensfreude aus, wirken ansteckend und erklären die Wahl der Juroren ohne nur auch ein weiteres Wort verlieren zu müssen. Schaue ich nun noch auf die Vita der jungen Frau, erstarre ich beinahe in Ehrfurcht. Benigna ist 17 Jahre alt, Schülerin eines Gymnasiums, Katholikin, spielt drei Instrumente und ist als Schauspielerin in einer Theatergruppe aktiv. Damit steht der Punktestand Benigna vs. Sarah genau 8:2.

Aber warum vergleiche ich dieses tolle Mädel mit mir? Ganz einfach, ich habe die „Gnade der Geburt“ (und Ahnen) auf meiner Seite. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, ich bin weiblich, blond, blauäugig und „mindestens“ 16 Jahre alt. Mehr habe ich allerdings nicht zu bieten. Ich beherrsche leider kein Instrument, wenn ich schauspielere (lüge), sieht man es mir an der Nasenspitze an und am liebsten würde ich mitten im Wald wohnen, so ganz ohne zwischenmenschliche Kontakte und vor allem ohne schwindelerregende Höhen. Und dennoch gibt es Menschen, die meiner Wahl, aller „Qualitätsmängel“ zum Trotz, offener gegenüber gestanden hätten, als der von Benigna. Ich bin halt offensichtlich „deutsch“.

Das, meine werten Leser, genau das ist Rassimus.

Nun gehöre ich wahrlich nicht zu den Leuten, die mit der „Rassimuskeule“ hausieren gehen, ganz im Gegenteil, für einige Menschen bin ich ironischerweise selber eine Rassistin – weil ich mich skeptisch über die Asylkrise äußere, weil ich Bedenken habe, dass konträr gegenüberstehende Lebens- und Religionsentwürfe in einer gemeinsamen Gesellschaft harmonieren können und weil ich in den Augen mancher einfach konservativ bin, obwohl ich mich selber als liberal bezeichnen würde. Und dennoch, oder gerade deswegen, erkenne ich Rassismus, wenn ich ihn sehe. Hier wird einer jungen, talentierten Frau das Recht abgesprochen das neue Christkindl zu sein. Der offensichtliche Grund ist nicht ihre Eignung, ihre Religion oder Ausstrahlung, der Grund ist alleine die Herkunft ihres Vaters, ihr fremdländisch klingender Name, ihre dunklen Haare und Augen.

Benigna könnte von ihrer Erscheinung her auch eine „Heidi Müller“ mit spanischen Wurzeln sein, dann hätte wohl kein Hahn nach ihr gekräht und niemand würde sich an ihren Namen erinnern – ganz in der Tradition vergangener Christkindl (siehe Marisa Sánchez, 2001-2002 [2]). Aber Bengina ist nun mal die Tochter einer Deutschen und eines Inders. Hier setzt der Beißreflex derer ein, die außer ihrer Herkunft scheinbar nichts weiter zu bieten haben und genau an dieser Stelle beginnt eben nun mal echter Rassimus. Es ist in dieser Debatte schon fast ironisch zu erwähnen, dass das Nürnberger Christkindl seinen ersten Auftritt im Jahr 1933 hatte [3]. Es wurde eingeführt, um die christliche Tradition zu unterhöhlen, denn das echte Christkind ist männlich und kommt aus dem Nahen Osten. So viel also zum Thema „Tradition“. Und dennoch hat Benigna in diesem Jahr etwas geschafft, was alle „Heidi Müllers“ vor ihr noch nicht geschafft haben – Sie hat gezeigt, dass unter dem prächtigen Christkindlkostüm eine echte Frau steckt, die sich mit echten Qualitäten in etlichen Bewerbungsphasen beweisen musste, um am Ende das Nürnberger Christkindl werden zu können.

Herzlichen Glückwunsch, Benigna!


Quelle:

[1] https://www.christkindlesmarkt.de/das-christkind/so-wird-man-christkind/wie-wird-man-eigentlich-das-nurnberger-christkind-1.2227356

[2] https://www.christkindlesmarkt.de/das-christkind/ehemalige-christkinder/die-ehemaligen-christkinder-1.2225618

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Christkind

Quelle: Roland Berger https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Christkindlesmarkt_prolog_2009.jpg
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